Sie ist Wissenschaftlerin durch und durch. Als „Quereinsteigerin“ hat sich Prof. Dr. habil. Mersedeh Tohidnezhad nach ihrem Ingenieurstudium der Biotechnologie eine umfassende Expertise in Molekularbiologie und regenerativer Medizin mit Fokus auf bradytrophem Gewebe im Bewegungsapparat angeeignet. Zusätzlich erforscht sie Materialien für den Sehnen-, Knorpel- und Knochenersatz. Am neuen HMU-Campus Düsseldorf/Krefeld hat sie eine Professur für Anatomie übernommen.
Von der Biotechnologie zur Anatomie

Frau Professorin Tohidnezhad, wie sind Sie zur Biotechnologie und von dort aus zur Anatomie und Zellbiologie gekommen?
Es war Zufall. Ich kam nach zwei Semestern Physik aus meiner Heimat Iran nach Deutschland, um Medizintechnologie zu studieren. Für die Anerkennung meines Abiturs musste ich zunächst ein zweisemestriges Studienkolleg absolvieren. Ich habe es in einem halben Jahr geschafft. Um die verbliebene Zeit zu nutzen, schrieb ich mich in Flensburg für Biotechnologie ein. Das Studium hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich dabeigeblieben bin und es mit dem Diplom abgeschlossen habe. Zu diesem Zeitpunkt hatten mich Wissenschaft und Forschung längst gepackt. Ich bekam eine Stelle bei Professor Pufe in Kiel und als er seinen Lehrstuhl in Aachen übernahm, ging ich mit ihm dorthin, um zu promovieren. An der Uniklinik der RWTH haben wir dann zusammen mit weiteren KollegInnen in den folgenden Jahren das Labor aufgebaut.
Zuletzt waren Sie stellvertretende Leiterin des Instituts für Anatomie und Zellbiologie am Universitätsklinikum Aachen. Was sind Ihre Forschungsschwerpunkte?
Seit meiner Promotion erforsche ich mit Kooperationspartnern die Rolle von Thrombozyten sowie deren Regenerationspotenzial bei Erkrankungen des Bewegungsapparats und der Haut. Die Blutplättchen fördern nicht nur die Wundheilung, sondern hemmen auch Entzündungen und reduzieren die Schmerzen, die bei Gelenkerkrankungen entstehen. So wird in vielen Fällen Arthrose im Knie durch Injektion von aufbereiteten Thrombozyten aus patienteneigenem Blut behandelt. Weitere Schwerpunkte meiner wissenschaftlichen Arbeit sind die molekulare Knochenbiologie, die Degeneration von Sehnen und Bändern sowie die Entwicklung neuartiger Sehnen-, Knorpel- und Knochenersatzmaterialien.
Das klingt spannend.
Ist es auch! Es gibt zwar schon heute verschiedene Möglichkeiten beispielsweise für den Ersatz einer Sehne, aber es gibt auch noch viel Verbesserungspotenzial. Denn es gilt nicht nur, Abstoßungsreaktionen zu vermeiden – der Ersatz muss ausreichend mechanische Festigkeit bieten und im gesamten Bewegungsapparat funktionieren. Bei dieser Forschung merkt man sehr deutlich, wie perfekt ein gesunder Körper eigentlich ist.
Gibt es Forschungsthemen, die Sie gerne noch angehen würden?
In der Tat würde ich gerne mal ein kooperatives Projekt mit Sportwissenschaftlern, Orthopäden und Unfallchirurgen durchführen. Durch enge Zusammenarbeit könnten innovative Präventions- und Therapieansätze für Bänderrisse und frühzeitige Arthrosen entwickelt werden, die Heilung fördern und langfristige Gelenkschäden verhindern.
Lassen Sie uns noch einen Blick auf die Lehre werfen. Anatomie ist ein sehr lernintensives Fach. Was ist Ihnen in der Vermittlung wichtig?
Es gibt wirklich sehr viel zu lernen in der Anatomie. Aber dieses Wissen ist neben den Naturwissenschaften grundlegend für das Gesamtverständnis des menschlichen Organismus. Deshalb werde ich meine Studierenden Stück für Stück an diesen Bereich heranführen. Es ist ein bisschen wie ein Puzzle, bei dem man erst einzelne Bereiche zusammensetzt und am Ende, wenn es fertig ist, das Gesamtbild erkennt. Als Diplom-Ingenieurin bin ich selbst erst in der Promotionszeit mit vielen Inhalten aus der Anatomie in Berührung gekommen und kann mich noch gut daran erinnern, wie kompliziert es zu Beginn erscheint. Deshalb lege ich in meiner Lehre großen Wert darauf, stets den Bezug zum Gesamtorganismus und zur Körperfunktion im Alltag herzustellen. Und ich möchte zu jedem Zeitpunkt die Neugier meiner Studierenden fördern und ihre Forschungsambitionen unterstützen.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Prof. Tohidnezhad.